Freitag, 27. Juni 2025

Wenn die Tage länger werden von Anne Stern

Klappentext:

Sechs Wochen, aber gleichzeitig ein halbes Leben, das vor ihr lag. Mit zäh fließenden Honigtagen am See und Radfahrten über Waldbodenteppiche aus Tannennadeln. Mit kühlen Wasserspritzern auf geschlossenen Lidern, Pommes Rot-Weiß, kurz bevor das Schwimmbad schloss, statt dem geplanten Abendbrot drinnen am Tisch, tiefblauem Himmel über dürren Fichten und senfgelben Feldern. Es ist das erste Mal seit sechs Jahren, dass die alleinerziehende Musiklehrerin Lisa einen Sommer ohne ihren Sohn vor sich hat. Doch die lang ersehnte Freiheit bringt auch Zweifel mit sich. Da ist die Sehnsucht nach ihrem Kind und die Frage, was für eine Frau sie eigentlich ist, wenn sie mal keine Mutter ist. Auf der Suche nach einem Restaurator für ihre alte vernachlässigte Geige begegnet sie der Obstbäuerin Ute in ihrem Kirschgarten, einer Frau, die keine Zeit mehr für Kompromisse hat. Bald wird Lisa klar, dass die Frage nach ihr selbst eng mit all dem verknüpft ist, worüber in ihrer Familie stets geschwiegen wurde. Und sie erfährt die unwiderstehliche Magie eines Sommers zwischen den Abgründen der Vergangenheit und einer neuen flirrenden Freiheit. 


"Wenn die Tage länger werden" ist so ein Buch, das man nur mal schnell anlesen will und dann nicht mehr weglegen kann. 

Manchmal kommt alles zusammen, zusammen hoch. Lisa ist alleinerziehend, mit Job und Kind kaum zur Ruhe kommend, und dann stehen einige freie Tage an. Erst ist Lisa überfordert, was tun mit plötzlich so viel freier Zeit für sich allein, im Kopf hätte man viele Pläne, aber weil Freizeit so ungewohnt ist, braucht sie einige Tage, bis sie sich daran gewöhnt hat. 

Und plötzlich ist da die Lust vielleicht wieder mal Geige zu spielen, das Instrument das sie vor Jahren weggeschlossen hat, weil sie dem Leistungsdruck der eigenen Mutter entgegentrat. Doch nun muss die Geige erst mal wieder generalüberholt werden. Sie bringt sie in eine ihr neue Werkstatt, mitten auf dem Lande, der Restaurator, Hans, ein ruhiger alter Herr, seine Tochter Ute auch nicht mehr jung, noch wortkarger als er. Und doch ist da etwas, was Lisa in den beiden sieht.

Hans entdeckt in der Geige ein Herkunftsschild, das ihm komisch vorkommt. Dadurch ploppt plötzlich wieder die Frage nach Lisas Vater auf. Eine, die weder er noch die Mutter ihr je beantworteten. Es nagt in Lisa, wie schon früher, jetzt will sie dem Geheimnis endlich auf die Spur kommen, da war dieser eine Satz, den sie mal hörte und der nie mehr aus ihrem Gedächtnis verschwand. 

Es geht u.a. um Themen, die in der Generation von Hans, Ute und Lisas Mutter gerne verschwiegen werden, weil "darüber spricht man nicht". Doch am Ende lernen sie alle zu sprechen, sogar Lisas Ex, der - ins kalte Wasser geworfen - plötzlich doch merkt, was es heisst alleinerziehend zu sein. 

Anne Stern schreibt hier wunderschön und bildhaft. Ihren Sätzen ist eine Leichtigkeit inne, obwohl die Thematik nicht gerade leicht ist. Mir hat diese bewegende Geschichte, die oft melancholisch anmutet, sehr gut gefallen. 

Fazit: Eine nachdenkliche, melancholische und bewegende Geschichte, die vollends überzeugt. Ein sommerliches Highlight. 
5 Sterne.


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